Birgit Rodler ist Unternehmerfrau im Handwerk 2011
Laudatio zur Urkundenverleihung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie herzlich zur Preisverleihung der Unternehmerfrau im Handwerk 2011.
Für die, die mich noch nicht kennen, mein Name ist Holger Externbrink. Ich bin Chefredakteur von handwerk magazin, der Zeitschrift, die seit über 20 Jahren den Preis für die Unternehmerfrauen im Handwerk ausschreibt.
Heute wollen wir wieder eine ganz besondere Dame auszeichnen. Ihr Name: Birgit Rodler. Lassen Sie mich Ihnen Frau Rodler vorstellen. Danach – da bin ich mir sicher – werden auch Sie überzeugt sein, dass Frau Rodler eine sehr gute Unternehmerfrau im Handwerk 2011 ist.
Heute ist Birgit Rodler Geschäftsführerin der AFW Creativ Stickerei in Marktleugast in Oberfranken.
Doch ihre Geschichte beginnt weit früher: 1977 nach dem Abschluss der Realschule machte Birgit Rodler eine Lehre als Bekleidungsnäherin bei der Firma Storchenmühle. Bis 1983 arbeitete sie in ihrem Ausbildungsbetrieb und wechselte dann als Stickerin zur Firma Meinel Fahnenfabrik.
Als ihr Gehalt nicht mehr regelmäßig kommt, ahnt sie, was ihr nach 20 Beschäftigungsjahren bei Meinel bevorsteht. Ein Zettel am schwarzen Brett bestätigt ihre Befürchtung: das Unternehmen ist insolvent. Kurz darauf erhält sie ihre Kündigung.
So wie die 45 anderen Beschäftigten der Fabrik. Alle zwischen 35 und 55 Jahre alt. Die Chancen auf einen neuen Job gleich Null. Denn das Leben im strukturschwachen oberfränkischen Marktleugast verwöhnt die Menschen wahrlich nicht: Arbeitsplätze sind knapp, die Jobs oft hart, Alternativen rar. „Das war eine schlimme Zeit“, erinnert sich Rodler später. „Mein Mann war in Kurzarbeit, mein Sohn gerade mitten im Studium. Die Existenzängste waren enorm“, so berichtete sie uns.
In einer Situation, in der andere unter der Belastung zusammenbrechen, unternimmt Birgit Rodler das, was sie schon als junge Frau mit einem kleinen Kind und zu wenig Geld in der Familienkasse getan hat: Sie verschiebt das Grübeln auf später, mobilisiert von Wer-weiß-woher ihre Kraftreserven und klotzt richtig ran.
Sie überzeugt ihre Schwester Sonja Oelschlegel und ihre Freundin Doris Rau, dass sie selber aktiv werden müssen. Sie, die bei ihrem alten Arbeitgeber als letzte Arbeiterin die Produktion abgewickelt hat, erwirbt – bestärkt durch Freunde und Familie – gemeinsam mit ihrer Schwester Sonja und Freundin Doris die Insolvenzmasse. Und die anderen vertrauen ihr. „Drei Familien haben ihre Häuser verpfändet und alles Ersparte in dieses Projekt gesteckt“, so Rodler.
Für einen Kredit bei der Sparkasse bekam die heute erfolgreiche Geschäftsfrau damals, im Krisenjahr 2009, nicht einmal einen Termin.
Doch Unternehmensgründung ist nicht leicht. Unterstützung erhalten sie schließlich bei den Aktivsenioren Bayern. Und weil zuerst einmal ein Firmenname her muss, einigen sich alle gemeinsam auf den Namen AFW Stickerei – das steht für Abzeichen, Fahnen, Wimpel. Die drei Frauen gründen also AFW Creativ-Stickerei GmbH.
„Ich wusste, die Kunden werden kommen, aber viele haben nicht so recht an uns geglaubt“, sagt sie heute. „Die Motivation war zwar hoch, aber keine der neuen Geschäftsführerinnen hatte wirklich Erfahrung in der Unternehmensgründung“, sagte sie. Und fremde Geschäftsführer, die zwar den Profit kennen, aber nicht die Plackerei an den Maschinen, will sie nicht. Einen Bezug zur Handarbeit und die Liebe zum Werk sind ihr wichtiger als ein weltmännisches Auftreten.
Doch Birgit Rodler wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht ihre Beharrlichkeit einsetzen würde: Die Betriebsübernahme ist noch nicht einmal beschlossene Sache, als sie bei den Großkunden ihres ehemaligen Arbeitgebers vor der Tür steht und für ihr zukünftiges Unternehmen wirbt. Heim kehrt sie mit einer Tasche voller Aufträge.
Weil in den Wirren der Übernahme ein Firmengebäude fehlt, starten die Frauen übergangsweise so wie andere erfolgreiche Gründer nach dem Zweiten Weltkrieg: in der heimischen Garage. „Zwei Einkopf-Stickautomaten haben wir bei uns zu Hause aufgestellt und dann habe ich zwei Wochen lang kein Tageslicht gesehen“, so Rodler.
Produktionsausfälle kann sich das junge Unternehmen nicht erlauben, auch wenn es erst später in größere Räume umziehen kann. Als Mitarbeiter stellt Birgit Rodler Menschen ein, die sie schon lange gut kennt: ihre alten Kollegen. Alle zwischen 40 und 60 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem der Arbeitsmarkt nicht mehr viele Möglichkeiten für einen Jobwechsel bietet. Und so passiert an etlichen Abenden im oberfränkischen Marktleugast das kleine Wunder, das älteren Arbeitslosen in Deutschland viel zu selten passiert: Das Telefon läutet und eine freundliche Stimme am Ende der Leitung fragt: „Magst Du bei mir anfangen?“
Seit der Gründung konnte die Firma auf inzwischen auf 20 Beschäftigte in Vollzeit wachsen und einen Jahresumsatz von 820.000 Euro erwirtschaften.
Durch geschickte Nischenpolitik im Produktportfolio meistert Frau Rodler den Weg aus der Krise. Sie festigt ihre Position im Markt gegenüber vielen osteuropäischen und fernöstlichen Konkurrenten gefestigt.
Rodler und ihre Stickerinnen haben sich eine kleine aber feine Nische im Markt ausgesucht. Sie stellen für jedes Länderspiel der Fußball- Nationalmannschaft die Übergabewimpel her. Zusätzlich zu den offiziellen Wimpeln des Deutschen-Fußball-Bundes produzieren sie hochwertigen Meinel-Karnevalsmützen und handbestickten Fahnen.
Die Meinel-Mützen sind mittlerweile Marktführer in Deutschland und beliefern 2000 Karnevalsgesellschaften jährlich. Die Fertigung von Vereinsfahnen und Standarten stellt eine Besonderheit dar durch handgeführte Stickerei und Konfektion in der eigenen Näherei. Auch die Abteilung Automatenstickerei ist für die Abwicklung von Kleinaufträgen wie Bestickung von T-Shirts, Berufskleidung, Ärmelabzeichen usw. bestens gerüstet. „Statt auf billige Ware setzen wir aus Tradition auf hochwertiges Handwerk“, sagt Rodler. Damit schlagen die Oberfranken auch die Billligkonkurrenz aus dem Rennen. 80 Prozent der reich verzierten und bis zu 400 Euro teuren Mützen für die Mitglieder der Kölner (!) Karnevalsvereine kommen von AFW.
Obwohl der kleine Betrieb in Marktleugast bei Kulmbach keine Unsummen für Werbung oder Marketing ausgibt, sind die Produkte der AFW Creativ Stickerei inzwischen weltbekannt bekannt.
Birgit Rodler ist als treibende Kraft in der Geschäftsführung viel auf Messen, Ausstellungen, Vereinstreffen und den Maestro-Handwerks-märkten in Oberfranken unterwegs, um Kundenkontakte zu knüpfen. Mit Erfolg, denn sie lässt nichts unversucht um auf die Firma aufmerksam zu machen. Ihre Hauptaufgabengebiete sind die Öffentlichkeitsarbeit, Budgetplanung, Kundenakquise und die Leitung der Stickerei.
Vor allem ihre unglaublich freundliche Art kommt bei den Kunden sehr gut an, berichten Geschäftspartner. Aber auch an der Maschine ist Frau Rodler selbst noch oft zu sehen. Sie, die Geschäftsführerin, näht, stickt und ist sich für keine Arbeit zu schade. Sich selbst sieht sie als Vorbild für ihre Mitarbeiter. Deshalb steht sie morgens um fünf Uhr als Erste am Stickautomaten, geht abends als Letzte heim und führt ihren Betrieb mit Tatkraft, Verstand und Herzlichkeit.
Trotz gut gefüllter Auftragsbücher sind Birgit Rodler, Doris Rau, Sonja Oelschlegel und Seniorenberater Bernhard Schubert sich selbst treu geblieben. In ihrer oberfränkischen Heimat verwurzelt, ihren Mitarbeitern gegenüber loyal und mit traditionellen Werten geht es ihnen nicht um riesige Gewinnmargen. Sie sind froh, wenn das Geschäft gut läuft und sie ihren Mitarbeitern eine sichere Zukunft bieten können. „Unser Erfolgsrezept ist Sparsamkeit und ein sehr persönliches Verhältnis zu unseren Mitarbeitern und Kunden“, sagt Rodler.
Frau Rodler, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zum Preis „Unternehmerfrau im Handwerk 2011“! - Bitte kommen Sie auf die Bühne.